Die Frage nach dem gesellschaftlichen Zusammenhalt
BERLIN – In den Medien regelmäßig besprochen, in politischen Debatten immer wieder präsent, wiederholt Gegenstand in den Inszenierungen auf den Theaterbühnen landesweit und selbst bei Familienfesten kommt man nicht drum herum: In nahezu allen Bereichen der Allgemeinheit spielt die Frage nach dem Zusammenhalt eine immer größere Rolle – sie bestimmt schon seit längerem den gesellschaftlichen Diskurs.
Diese Beobachtung war Ausgangspunkt dafür, sich genauer anzusehen, wo, in welchen Bereichen der Zivilgesellschaft entsteht gesellschaftlicher Zusammenhalt und wie wird er gefördert? Als Hauptfelder kristallisierten sich alsbald die Bereiche von Religion und Kultur heraus. Jedoch scheinen sich die Perspektiven und Aussagen der Akteure auf beiden Seiten stark zu widersprechen. Was passiert, wenn man also Vertreter dieser beiden Seiten an einen Tisch bringt, um gemeinsam heraus zu finden, wie es denn nun wirklich funktioniert? Doch was heißt überhaupt ‚gesellschaftlicher Zusammenhalt‘? Welche Bedeutung hat er für den Einzelnen wie für Teile der Gesellschaft, als auch ihr Ganzes? Und wie wird er gestaltet?
Mit diesen Fragen befassten sich die Teilnehmer einer kürzlich gestarteten bundesweiten Gesprächsreihe: „Die Fähigkeit von Religion und Kultur gemeinsam gesellschaftlichen Zusammenhalt zu gestalten. Mit der Reihe wird die Absicht verfolgt, diesen scheinbaren Widerspruch zwischen beiden Seiten zu überbrücken.
In Zusammenarbeit mit der Initiative kulturelle Integration, der Bundeszentrale für politische Bildung, dem Stipendiatenprogramm Dialogperspektiven und der Bahá’í-Gemeinde Deutschland fand dieser Tage das erste von drei ganztägigen Gesprächen am runden Tisch mit Vertretern von Religionsgemeinschaften, Kunst- und Kulturschaffenden sowie Stipendiaten und Stiftungsvertretern in Berlin statt.
„Es geht darum, dass überhaupt solche Gespräche geführt werden und dass wir als Kulturschaffende, als Künstler, als Menschen im religiösen Spektrum uns miteinander vernetzen und zukünftig gemeinsam an solchen Projekten arbeiten. Ich glaube, die Vernetzung, die durch diese Gesprächsreihe geschieht, ist schon ein Teil des gesellschaftlichen Zusammenhalts, den wir uns wünschen … wir bringen uns, indem wir miteinander reden, dazu, an einem Strang zu ziehen,“ so Patricia Löwe von der Guardini Stiftung.
Ulrich Khuon, Intendant des Deutschen Theaters Berlin und Präsident des Deutschen Bühnenvereins, gab mit seinem Impulsvortrag den Anstoß zu weiterführenden Überlegungen. Er betonte, dass Religion weit über das Säkulare hinaus einen transzendentalen Bezug herstelle und Perspektiven schaffe, die es Menschen ermögliche, von außen auf Dinge zu blicken und damit eine Schau auf das Ganze zu bekommen. Anders als säkulare Rahmenwerke, die häufig nur ein zwischenmenschliches Minimum vorschrieben, kann das Religiöse darüber hinausgehen und dem Menschen zusätzliche Verhaltensweisen wie Barmherzigkeit und Feindesliebe abverlangen – Ressourcen, die für eine Gesellschaft auf Dauer unabdingbar seien. Der Mensch kann dies unmöglich aus seiner eigenen Kraft schöpfen und kreieren. Religiöse Kommunikation könne dabei unterstützen, Unbestimmtes in Bestimmtes zu verwandeln, weil sie die Sprache für einen ganzheitlichen Bezug habe, so Khuon. Gleichzeitig könne Kultur, durch ihre oft Prozesse beschreibende Wesensart, einen Umgang mit Ungewissheit ermöglichen. Kunst, so beschrieb Khuon, gebe Kultur und Religion Bildhaftigkeit, mache beide sicht- und erlebbar und ermögliche ihnen Dauerhaftigkeit über die Begrenzungen von Zeit und Raum hinweg.
Khuons Worte eröffneten eine lebhafte Diskussion. Dabei kamen tatsächlich die unterschiedlichsten Sichtweisen gewissermaßen auf den Tisch, um mit ihnen weiter arbeiten zu können. Dass sowohl im Bereich der Religion als auch im Feld von Kunst und Kultur Antworten auf die Frage nach Sinn und Zweck des Daseins gesucht werden, darüber waren sich die Gesprächsteilnehmer schnell einig. Einigermaßen überrascht jedoch hat die gemeinsame Erkenntnis, dass die Herangehensweisen in beiden Bereichen ähnlich sind. Herangehensweisen, die sich auf das Vermitteln von Wissen, das Schaffen von Begegnungen und ein gemeinsames Handeln gründen und damit durchaus Menschen zusammenbringen. „Kunst und Religion bieten die Möglichkeit, sich größeren Ideenwelten und damit Gemeinschaften einzuschreiben. Darüber hinaus können sie dem Individuum die Möglichkeit bieten, Kontakt mit etwas Transzendentalem aufzunehmen. Kunst kann mit etablierten Formaten experimentieren, um an ein diverses Publikum zu adressieren.“, resümierten die Teilnehmer einer der Kleingruppen, in denen zeitweise gearbeitet wurde, ihre Erkenntnisse zu dem Thema. „Was man immer wieder feststellt, ist, dass kollektives Handeln Zeit braucht und wir uns diese Zeit nehmen müssen, wenn wir mehr über gesellschaftlichen Zusammenhalt lernen möchten.“, ergänzten die Mitglieder einer weiteren Gruppe während des Gesprächs.
Im Laufe des Berliner Gesprächstages wurden dann auch Belege, Erfahrungen und Beispiele aus beiden Bereichen zusammengetragen. Damit war dann auch, viel zu schnell, das Ende des Tages erreicht.
Mahyar Nicoubin von der Bundeszentrale für politische Bildung in einem ersten Resumee: „Es lohnt sich in jedem Fall, sich Zeit zu nehmen für diese Form von Gespräch. Das ist auch herausfordernd; es war gar nicht immer so leicht, sich Gedanken in einer gewissen Tiefe dazu zu machen…zu lernen, wie dieses Gespräch gehen kann, dass diese Zeit, die man da investiert, gut investierte Zeit ist. Weil sie eine wichtige Grundlage legt für alles Weitere, was dann im Handeln, in der Vernetzung u.s.w. folgt, das ist ein großer Mehrwert und Gewinn.“
Der nächste Gesprächstermin der Reihe findet im Juni in Frankfurt am Main statt.
Einen kleinen Eindruck über das erste Gespräch dieser Reihe vermittelt auch unser Podcast.