Die Wahl des Nationalen Geistigen Rates von Deutschland – ein Einblick in das Prinzip der Bahá’í-Wahlen
HOFHEIM – Die Wahl des Nationalen Geistigen Rates von Deutschland – ein Einblick in das Prinzip der Bahá’í-Wahlen
Jedes Jahr versammeln sich Bahá’í weltweit am ersten Tag des höchsten Bahá’í-Festes, der Ridván-Zeit, in ihren lokalen Gemeinden, um die neun Mitglieder ihres Verwaltungsgremiums, den Örtlichen Geistigen Rat, in geheimer und freier Wahl zu wählen. Jeder Bahá’í ab 21 Jahren ist wählbar und trägt Verantwortung, über die Zusammensetzung der zu wählenden Institution mitzubestimmen.
In ähnlicher Weise wählen – ebenfalls in der Ridván-Zeit – die Bahá’í-Gemeinden weltweit ihr jeweiliges nationales Vertretungsorgan, den Nationalen Geistigen Rat. In Deutschland veranstaltete die Bahá’í-Gemeinde dazu ihre alljährliche Nationaltagung Ende April in der Hofheimer Stadthalle. Dieses Jahr waren vom 26. bis 28. April 57 Abgeordnete aus ganz Deutschland versammelt und hatten zwei Aufgaben: Die neun Mitglieder des Nationalen Geistigen Rates zu wählen sowie mit seinen scheidenden und neu gewählten Mitgliedern zu beraten.
Im Mittelpunkt stand dabei die Frage, wie die Bahá’í in Deutschland, gemeinsam mit Freunden, Bekannten und Nachbaren einen Beitrag zum gesellschaftlichen Zusammenhalt leisten können. Dabei machten sich die Abgeordneten ein umfassendes Bild von den derzeitigen Bedingungen und Möglichkeiten der deutschen Bahá‘í-Gemeinde und den Umfeldern, in denen sie gemeinsam mit anderen agieren, in dem sie den Fokus auf Lernerfahrungen aus den Gemeindebildungsprozessen vor Ort legten. Das Ziel all dieser Bemühungen ist die Förderung von Frieden und Gerechtigkeit, sowie Einheit unter Anerkennung der Vielfalt der Kulturen.
Wahlen ohne Propaganda
Der Wahlvorgang selber fand mit geheimer Stimmabgabe statt und wurde durch Gebete eingeleitet. Dies verdeutlicht auch den Geist unter welchem die Wahlen sowie die Beratungen der Tagung stehen – einen, der alle Dimensionen menschlichen Daseins miteinbezieht, das geistige und materielle. Bei der Mitgliedschaft in gewählten Gremien der Bahá’í geht es nicht um die Ausübung von Macht, vielmehr um die Befähigung und die Bereitschaft, Gott und dem Allgemeinwohl zu dienen. Im Unterschied zu gängigen Wahlverfahren gibt es weder Kandidatenaufstellung noch Wahlversprechen. Das weltweite Verwaltungsmodell der Bahá’í geht zurück auf das Schrifttum Bahá’u’lláhs. Erstmals wurden damit von einem Religionsstifter die Grundzüge für ein globales Gesellschaftsmodell der Menschheit gelegt. Alle die Gemeinde betreffenden Angelegenheiten werden in gewählten Gremien beraten und mehrheitlich – wenn möglich einstimmig – entschieden.
Zum Thema Bahá’í-‐Wahlen erläuterte Shoghi Effendi, der Hüter des Bahá’í-Glaubens: „Das Kandidaturverfahren (…) hat noch den großen Nachteil, dass es in dem Gläubigen den Geist der Initiative und Selbstentfaltung auslöscht. Einer der elementaren Zwecke der Bahá’í-Wahlverfahren und –methoden ist tatsächlich die Entwicklung von Verantwortungsbewusstsein bei jedem Gläubigen, in dem sie nachdrücklich unterstreichen, wie sehr er bei den Wahlen seine volle Freiheit bewahren muss, machen sie ihm zur Pflicht, ein aktives, gut unterrichtetes Mitglied der Bahá’í-Gemeinde zu sein, in der er lebt.“ Die Teilnahme an den Wahlen ist „eine verbindliche Pflicht, die jedem Bahá’í das große Vorrecht überträgt, als verantwortlicher Bürger der entstehenden neuen Welt über die Zusammensetzung der Institutionen mitzubestimmen, welche die Obliegenheiten der Bahá’í-Gemeinde entscheiden“, schreibt Shoghi Effendi.
Unter denen, die der Wähler für den Dienst geeignet hält, sollte die zu treffende Auswahl Umstände wie Altersstruktur, Vielfalt und Geschlecht sorgfältig berücksichtigen. Im Fokus der zutreffenden Wahl stehen die Eigenschaften und Fähigkeiten der Personen, die für den Dienst in der Institution unterstützend sind. Auch hier werden in den Bahá’i-Schriften Anhaltspunkte für gewisse Eigenschaften gegeben. Dazu gehören: „fraglose Treue, selbstlose Hingabe, ein wohlgeschulter Verstand, anerkannte Fähigkeit und reife Erfahrung“, wie Shoghi Effendi erläutert. Der Wähler sollte seine Wahl nach Gebet und gründlicher Überlegung über einen längeren Zeitraum vor der eigentlichen Wahl treffen. Dabei geht es nicht vordergründig um die Person, sondern um die Institution, die die Angelegenheiten einer Gemeinde verwaltet, in der es keine herrschende Klasse mit klerikalen Funktionen gibt, die Auszeichnung oder Privilegien beanspruchen kann.
Die Mitgliedschaft in einer gewählten Institution wird als Position des Dienstes und nicht als Position der Macht angesehen. So haben diejenigen, die in einen Geistigen Rat gewählt werden, keinen höheren Rang oder höhere Autorität als andere Mitglieder der Gemeinde. Sie sind Mitglieder eines Verwaltungsgremiums, welches die Autorität hat, sowohl die Gemeindeangelegenheiten zu leiten, als auch ihren Bedürfnissen zu dienen. „Das Mitwirken in einer Bahá’í-Körperschaft ist vielmehr als ehrenamtlicher Dienst sowohl an der Gemeinde als auch am Gemeindewohl zu verstehen“, so die amtierende Generalsekretärin des Nationalen Geistigen Rates Saba Khabirpour. Ein kleiner Eindruck aus der diesjährigen Nationaltagung, ebenso wie mehr Einblicke in eine Bahá’i Wahl kann im Podcast „Einblicke in…“ nachgehört werden.