Drei Wochen im Iran: 200 Fälle von Bahá'í-Verfolgung und die scharfe Verurteilung durch die internationale Gemeinschaft als „umfassende Unterdrückung“
Berlin, 24. August 2022 - Regierungsvertreter, internationale und nationale Medien und Dutzende prominenter zivilgesellschaftlicher Akteure und Einzelpersonen haben sich in diesem Monat mit einer Flut von Stellungnahmen, Berichten und Beiträgen in den sozialen Medien für die Bahá'í im Iran eingesetzt und angesichts der eskalierenden Verfolgung und der offiziellen Hasspropaganda gegen diese Gemeinschaft ein Ende der Ungerechtigkeit gefordert. Das harte Durchgreifen der iranischen Behörden begann am 31. Juli mit einer Welle von Verhaftungen und der gewaltsamen Zerstörung von Häusern in dem Dorf Roshankouh im Norden Irans.
Schätzungen zufolge wurden durch die Online-Berichterstattung und die Berichterstattung in den traditionellen Medien über diese Ereignisse und die unterstützenden Erklärungen zu den Verfolgungen Hunderte von Millionen von Menschen erreicht.
Der Twitter-Account der Internationalen Bahá'í-Gemeinde (BIC) verzeichnete eine Verneunfachung seiner Reichweite und seiner Möglichkeiten, die Öffentlichkeit über die Verfolgungen zu informieren. Allein ein Video, das einige der enteigneten Bahá'í bei den Trümmern ihrer Häuser in Roshankouh zeigt, wurde 3,4 Millionen Mal auf dem Instagram-Account eines Senders aufgerufen und auf zahlreichen anderen Websites geteilt.
Eine Gruppe von Experten der Vereinten Nationen unter der Leitung der Sonderberichterstatter für die Menschenrechtslage im Iran, für Religions- und Glaubensfreiheit und für Minderheitenfragen, Javaid Rahman, Nazila Ghanea und Fernand de Varennes, erklärte am 22. August, dass die iranischen Behörden die Verfolgung und Drangsalierung religiöser Minderheiten und den Missbrauch der Religion zur Verweigerung grundlegender Menschenrechte beenden müssen.
"Wir sind zutiefst besorgt über die zunehmenden willkürlichen Verhaftungen und mitunter das gewaltsame Verschwindenlassen von Angehörigen des Bahá'í-Glaubens sowie die Zerstörung oder Beschlagnahmung ihres Eigentums, was auf eine systematische Verfolgungspolitik hindeutet", erklärten die Experten und wiesen darauf hin, dass dieses harte Vorgehen Teil einer umfassenderen Politik gegen religiöse Minderheiten in dem Land ist.
Über die Situation im Iran berichteten auch große Nachrichtenagenturen in aller Welt.
Die New York Times bezeichnete die Verfolgungen als ein "umfassende Unterdrückung". Die Associated Press veröffentlichte einen Artikel, der unter anderem in der Washington Post verbreitet wurde und in dem es hieß, dass der Iran trotz der vom iranischen Geheimdienstministerium gegen die Bahá'í erhobenen Anschuldigungen "keine Beweise dafür vorgelegt hat, dass die Bahá'í etwas Illegales tun".
Agence-France Presse nannte die Situation einen "neuen Gipfel" und berichtete, dass die Bahá'í "sagen, dass die Lehren des Glaubens eine nicht-konfrontative Herangehensweise ermutigen, die als 'konstruktive Resilienz' bekannt ist, und darauf bestehen, dass die Bahá'í im Iran für das Wohl des Landes und nicht gegen seine Führung arbeiten wollen."
Die BBC berichtete ebenso wie die britische Times, der Telegraph und die französische Le Monde. In der Deutschen Welle erschien ein Artikel am 1. August und ein weiterer am 4. August. Ebenso berichtete die Jüdische Allgemeine sowie der Deutschlandfunk. In einer Radiosendung des ORF verdeutlichte der Politologe und Iran-Experte Ali Fathollah-Nejad: „Diese beispiellose Verfolgung der Bahá'í im Iran ist eng verflochten mit der politisch-ideologischen Geschichte der Islamischen Republik".
Ein Bericht im Toronto Star brachte die jüngsten Entwicklungen mit der anhaltenden Verweigerung von Hochschulbildung für Bahá'í im Iran und dem jüngsten Verschwinden einer iranischen Bahá'í-Fernstudentin in Verbindung.
Das außergewöhnliche Ausmaß an spontaner Unterstützung und Berichterstattung entstand nach einer weithin beachteten Erklärung des iranischen Geheimdienstministeriums vom 31. Juli, in der die Bahá'í in einem entsetzlichen Akt der Hassrede des "Kolonialismus" und der "Unterwanderung von Kindergärten" bezichtigt wurden, sowie nach den darauffolgenden Verhaftungen, Festnahmen und Razzien in Wohnungen und Geschäften sowie Universitätsausschlüssen, in insgesamt über 200 Fällen.
Eine spätere Enthüllung des BIC ergab sogar, dass iranische Sicherheitsbeamte am selben Tag eine fingierte Szene in einem Kindergarten inszeniert und gefilmt hatten, um die Bahá'í-Gemeinde mit diesen Vorwürfen zu belasten und ihr etwas anzuhängen.
Am 2. August riegelten bis zu 200 Beamte das Dorf Roshankouh in Mazandaran ab, in dem zahlreiche Baha'i leben, und zerstörten mit schwerem Gerät sechs Häuser. Die Einsatzkräfte beschlagnahmten auch rund 20 Hektar Bahá'í-Eigentum.
Jascha Noltenius, Menschenrechtsbeauftragter der Bahá'í-Gemeinde in Deutschland, sagt, die internationale und iranische Unterstützung zeige, dass die iranische Regierung in ihren Bemühungen, die Bahá'í zu eliminieren und zu isolieren, gescheitert sei.
"Seit drei Wochen sieht die internationale Gemeinschaft mit Entsetzen zu, wie die iranische Regierung die Verfolgung der Bahá'í verschärft, mit ihrer Hasspropaganda gegen die Gemeinschaft einen neuen Tiefpunkt erreicht und weiteren jungen Bahá'í das Recht verweigert, eine Universität zu besuchen, zusätzlich zu den Tausenden, die bereits in der Vergangenheit von der Hochschulbildung ausgeschlossen wurden", sagt Herr Noltenius. "All das muss aufhören, und zwar sofort."
Der luxemburgische Außenminister Jean Asselborn, der sich seit langem für die Rechte der Bahá'í im Iran einsetzt, brachte ebenfalls die Besorgnis seiner Regierung zum Ausdruck und forderte den Iran auf, "seinen Verpflichtungen zur Achtung der Menschenrechte und zur Beseitigung jeglicher Diskriminierung nachzukommen".
Der Beauftragte der Bundesregierung für weltweite Religions- und Weltanschauungsfreiheit, Frank Schwabe, forderte auf Twitter hinsichtlich der "Verhaftungen der letzten Tage aufgrund absurder Vorwürfe": "Die Inhaftierten müssen freigelassen werden." Die deutsche Bundestagsabgeordnete Lamya Kaddor, eine renommierte Islamwissenschaftlerin, bewertete die Lage bei Twitter als "hochproblematisch, zumal Bahá'í seit Jahrzehnten dort unter Verfolgung leiden."
Fiona Bruce, Beauftragte des Vereinigten Königreichs für Religions- und Weltanschauungsfreiheit und Vorsitzende der Internationalen Allianz für Religions- und Weltanschauungsfreiheit, erklärte auf Twitter, dass Artikel 18 der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte "eindeutig" sei und dass das Recht, seinen Glauben zu praktizieren und zu manifestieren, "für jeden und überall geschützt werden sollte."
Amnesty International veröffentlichte ebenfalls eine Eilmeldung, wonach die iranischen Bahá'í "unter eskalierenden Angriffen auf ihre Menschenrechte leiden", und forderte die nationalen Amnesty-Sektionen auf, an den Leiter der iranischen Justiz und zwei Staatsanwälte zu schreiben. Kenneth Roth, Geschäftsführer von Human Rights Watch, war einer der ersten auf internationaler Ebene, der Nachrichten auf Twitter in englischer Sprache veröffentlichte, als die Krise ausbrach.
Dr. Kamal Sido, Referent für religiöse und ethnische Minderheiten der Gesellschaft für bedrohte Völker berichtete schon Anfang August: „200 iranische Regierungsbeamte haben das Dorf Roushankouh, in dem eine große Zahl von Bahá'í lebt, abgeriegelt und setzten Bagger ein, um deren Häuser abzureißen. Sechs Häuser wurden zerstört und 20 Hektar Land wurden beschlagnahmt. Es gibt auch Verhaftungen."
Dr. Oliver Ernst, Referent für Menschenrechte der Konrad Adenauer Stiftung forderte bei Twitter: „Die internationale Gemeinschaft muss unverzüglich auf diese fortwährenden Gräueltaten gegen die die friedliche religiöse Minderheit der Bahá'í im Iran reagieren".
Mahvash Sabet, Fariba Kamalabadi und Afif Naemi, drei ehemalige Mitglieder der aufgelösten Yaran (persisch für: "Freunde Irans"), die bis 2008 eine informelle Führungsgruppe der iranischen Bahá'í-Gemeinde war, gehörten zu den Verhafteten. Alle drei hatten bereits ein Jahrzehnt im Gefängnis verbracht, bevor sie 2018 entlassen wurden.
PEN International, eine Vereinigung für das Recht auf freie Meinungsäußerung in der Literatur äußerte sich besorgt über die Verhaftung von Mahvash Sabet. Frau Sabet, die während ihrer Haft Gedichte schrieb, wurde 2017 vom englischen PEN als "International Writer of Courage" ausgezeichnet. Ebenso wie viele weitere nationale Sektionen schloss sich PEN Berlin der Forderung an „die Schriftstellerin Mahvash Sabet umgehend freizulassen und das harte Vorgehen gegen die Baha'i-Gemeinde im Iran zu beenden.
Die Internationale Gesellschaft für Menschenrechte berichtete über einen weiteren der Yaran: „Herr Afif Naemi, wird in Isolationshaft im Evin-Gefängnis gehalten, aus dem immer wieder von Folter und menschenunwürdigen Haftbedingungen berichtet wird. Bereits bei seiner zehnjährigen Haft wurde ihm die notwendige medizinische Behandlung verwehrt."
Die iranische Zivilgesellschaft führte diese Unterstützung mit einem beispiellosen Solidaritätsaufruf innerhalb und außerhalb des Landes an, der von sozialen und politischen Persönlichkeiten, Menschenrechtsverteidigern und Frauenrechtsaktivisten, Künstlern, Schriftstellern, Dichtern, Karikaturisten und Komikern, Religionswissenschaftlern und sogar einigen Geistlichen, Journalisten, derzeitigen und ehemaligen politischen Gefangenen, Anhängern anderer Religionen, Akademikern, Anwälten, religiösen Intellektuellen, sozialen und politischen Kommentatoren und Hunderttausenden anderen Iraner kam.
Mehr als hundert prominente Iraner innerhalb und außerhalb des Irans gaben eine gemeinsame Erklärung ab, in der sie ihre Besorgnis über die zunehmende Verfolgung zum Ausdruck brachten und erklärten: "Wenn es um die Bürger- und Menschenrechte der Bahá'í geht, betrachten wir uns auch als Bahá'í."
Auf mehreren Podiumsdiskussionen im Clubhouse erörterten Bahá'í-Sprecher und andere Experten vor Zehntausenden von Zuhörern, warum die Lage der Bahá'í alle Iraner betrifft.
Und in einem eindrucksvollen Akt der Solidarität organisierten Menschenrechtsaktivist*innen einen Twitter-Sturm mit den Hashtags #BahaisUndermassiveAttacks und #BeingBahaiIsNotACrime, die mehr als 24 Stunden lang als Trend auf dem persischsprachigen Twitter zu sehen waren.
Shirin Ebadi, die Friedensnobelpreisträgerin und Menschenrechtsanwältin, und Mehrangiz Kar, eine bekannte iranische Menschenrechtsaktivistin und Anwältin, gaben auf Instagram offizielle Unterstützungserklärungen ab.
Maryam Mirza, eine iranische Journalistin in Deutschland, sagte: "Wir alle, unsere Eltern und die Eltern unserer Eltern, haben einen Anteil an der aktuellen Situation der iranischen Bahá'í. Lasst uns unsere Stimme erheben, damit wir die Schande unseres historischen kollektiven Anti-Baha'ismus wiedergutmachen können."
Seyyed Mohammad Ali Ayyazi, ein iranischer schiitischer Geistlicher, fragte: " Welches religiöse Rahmenwerk rechtfertigt den Abriss der Häuser der Bahá'í? (...) Wir erleben aktuell eine Unterdrückung von Bürgern, die bereits ihrer Grundrechte beraubt sind."
Auch der Zentralrat der Muslime in Deutschland solidarisierte sich mit den Bahá'í im Iran. Sein Generalsekretär Abdasammad El Yazidi schrieb auf Twitter: „Medienberichte über Razzien gegen Baha'i im Iran zeigen dass die weltweite Lage der Religionsfreiheit besorgniserregend ist. Wir müssen alle gegen jegliche Form der Repression gegen Glaubensgemeinschaften stehen."
"Die Reaktion der Weltgemeinschaft war sowohl herzerwärmend als auch unmissverständlich: Die unerbittliche Verfolgung der Bahá'í durch die iranische Regierung untergräbt und beschädigt nur ihr eigenes Ansehen und ihre Glaubwürdigkeit in den Augen der Weltgemeinschaft", so Noltenius. "Der Iran soll wissen, dass die Öffentlichkeit so lange ihre Stimme erheben wird, bis die Verfolgung ein Ende hat und die Bahá'í als vollwertige Bürger in ihrem Heimatland leben können."