Ein Jahrzehnt unschuldig im Gefängnis

Mahvash Sabet wird als erstes Mitglied des ehemaligen iranischen Baha’i-Führungsgremiums aus dem Gefängnis entlassen.

Mahvash Sabet (64) ist eines der sieben Mitglieder der ehemaligen Leitungsgruppe der Baha’i im Iran, die allein aufgrund ihres religiösen Glaubens im Gefängnis war. Jetzt wurde sie nach Beendigung ihrer 10-jährigen ungerechten Haftstrafe aus dem Gefängnis entlassen.

Frau Sabet wurde als erstes Mitglied dieser informellen Leitungsgruppe – auch als „Yaran“ (dt. „Freunde“) bekannt – im März 2008 festgenommen. Die sechs weiteren Mitglieder wurden im Mai 2008 nach Hausdurchsuchungen verhaftet und wochenlang in Isolationshaft unter fürchterlichen physischen und psychischen Bedingungen festgehalten.

Etwa 20 Monate nach der Inhaftierung ohne Anklage begann das Verfahren am 12. Januar 2010. Nach sechs kurzen Sitzungen wurde die Verhandlung am 14. Juni 2010 beendet. Die Verurteilung erfolgte ohne rechtmäßiges Verfahren und mit vorgeschobenen Gründen der Gefährdung der Sicherheit der Islamischen Republik am 8. August 2010. Die Anwältin und Friedensnobelpreisträgerin Shirin Ebadi hatte nach Einsicht in die Anklagepunkte keinen Beweis für die Aufrechterhaltung der Anklage gefunden. Sie erklärte hierzu: „Ich leite das Team für die rechtliche Vertretung der sieben Baha‘i. Nach gründlichem Studium ihrer Akten habe ich nicht den geringsten Beleg für die Anklage gefunden, die gegen Sie erhoben wurde“, so Frau Ebadi.

Die Inhaftierung und schließlich Verurteilung im Jahr 2010 löste weltweit Proteste von Seiten der Vereinten Nationen, Regierungen und Medien aus, dem sich auch die Bundesregierung mit deutlichen Worten angeschlossen hatte. Noch 2014 forderte der UN-Generalsekretär Ban Ki-Moon ihre „bedingungslose Freilassung“.

Die Nachricht von Mahvash Sabets Haftbeendigung wird von der Baha’i-Gemeinde in Deutschland begrüßt. Ihr Sprecher, Prof. Ingo Hofmann, erklärt: „Wenngleich die Entlassung aus der langen und schweren Haft eine Erleichterung für alle ist, besonders auch für die Familienangehörigen, sehen wir darin alles andere als ein Anzeichen der Minderung der Verfolgung der Baha’i im Iran. Ganz im Gegenteil – die Entlassung von Frau Sabet findet vor dem Hintergrund einer zunehmenden staatlich inszenierten Diskriminierung der Baha’i statt, die in Hasspredigten und Hetzartikeln staatlicher Medien allgegenwärtig ist“, beklagt Hofmann.

Die Entlassung der sechs noch in der Haft verbliebenen Mitglieder der ehemaligen „Yaran“ soll in den nächsten Monaten erfolgen. Es sind Frau Fariba Kamalabadi (55), Herr Jamalodin Khanjani (83), Herr Afif Naeimi (55), Herr Saeid Rezai (59), Herr Behrooz Tavakkoli (65) und Herr Vahid Tizfahm (43).

„Die deutsche Baha’i-Gemeinde, zu der auch hier lebende Familienangehörige gehören, und zahlreiche ihrer Freunde und Unterstützer sehen dem Tag der vollständigen Entlassung aller Sieben gebannt entgegen. Zugleich geben wir die Hoffnung nicht auf, dass die Regierung des Iran ihr Versprechen einlösen wird, allen Iranern gleichermaßen Gerechtigkeit zu gewähren“, so Hofmann.

Weitere Informationen:

Alina Braml, Mobil: 0176 61 93 87 51; E-Mail: oea@bahai.de

Weiter Hintergrundinformationen

(siehe auch den Blog http://iran.bahai.de/der-fall-der-yaran/)

Frau Mahvash Sabet

  • Frau Sabet (64, verheiratet, zwei inzwischen erwachsene Kinder) war bereits vor der Inhaftierung Diskriminierungen ausgesetzt.
  • Sie war zunächst Lehrerin, dann Schulleiterin und in der Alphabetisierung des Landes engagiert.
  • Nach 1979 Entlassung wegen ihrer Baha’i-Zugehörigkeit. Im März 2008 Festnahme durch den iranischen Geheimdienst und Vorwurf von Spionage und Verstoß gegen die nationale Sicherheit und islamische Ordnung.
  • Im Gefängnis verfasste sie Prison Poems, für die sie im Oktober 2016 durch den Österreichischen PEN Club geehrt wurde. Dieser ließ die Gedichte ins Deutsche übersetzen und forderte auf seiner Webseite die sofortige Freilassung von Mahvash Sabet. Ihre Gedichte berühren Tausende von Menschen und wurden in mehrere Sprachen übersetzt.

Die „Yaran“

  • Die förmliche Leitung von Baha’i-Gemeinden obliegt weltweit demokratisch gewählten Gremien, den sog. „Nationalen Geistigen Räten“. Unmittelbar nach der Islamischen Revolution im Iran 1979/80 wurden die Mitglieder dieser Räte verschleppt bzw. hingerichtet und die Baha’i-Institutionen für illegal erklärt.
  • Die „Yaran“(dt. „Freunde“) wurden in der Folge zur minimalen Betreuung der Baha’i-Gemeinde mit voller Kenntnis und Bestätigung durch die Behörden eingerichtet.
  • Mahvash Sabet, Fariba Kamalabadi, Jamaloddin Khanjani, Afif Naeimi, Saeid Rezaie, Behrouz Tavakkoli und Vahid Tizfahm waren Mitglieder dieser informellen Koordinierungsgruppe, die sich um die notwendigsten Belange der über 300.000 Mitglieder zählenden iranischen Baha‘i-Gemeinde kümmerte. Die Baha’i repräsentieren die größte religiöse Minderheit des Landes, der es jedoch seit 1983 verboten ist, sich in demokratisch gewählten Gremien zu konstituieren. Seitdem hatte dieses informelle Gremium, dessen Mitglieder die Verurteilten waren, einen Teil der Aufgaben übernommen, ehe auch dieses im Zuge der Verhaftungen aufgelöst werden musste.
  • Nach den Verhaftungen 2008 wurde nach mehreren Etappen – vor dem Revolutionsgericht unter Ausschluss der Öffentlichkeit – der Prozess am 14. Juni 2010 abgeschlossen und das Urteil am 8. August 2010 auf 20 Jahre festgesetzt.
  • Der anfänglich verweigerte Rechtsbeistand wurde durch Mitglieder des Defenders of Human Rights Center in Teheran wahrgenommen, das von Nobelpreisträgerin Shirin Ebadi mitbegründet wurde. Zu den Anwälten gehörte auch der iranische Menschenrechtsaktivist und Träger des Internationalen Nürnberger Menschenrechtspreises, Abdolfattah Soltani, der 2012 vom Revolutionsgericht in Teheran zu einer 18-jährigen Haftstrafe sowie einem 20-jährigen Berufsverbot verurteilt worden war.
  • Nach dem Widerspruch der Anwälte Herabsetzung durch ein Teheraner Gericht auf 10 Jahre. 2011 wurde die Strafe jedoch ohne richterliches Urteil wieder auf 20 Jahre hochgesetzt.
  • 2015 musste durch Anwendung des New Islamic Penal Code die Strafe auf das darin vorgesehene Höchstmaß von 10 Jahren zurückgesetzt werden.

Aktuelle Unterdrückung der Baha’i im Iran

  • Im Zeitraum 2008-2014 ist die Zahl der Inhaftierten gegenüber den Vorjahren dramatisch gestiegen. Insgesamt müssen für die Zeit von 2005 bis heute über 800 Inhaftierungen festgestellt werden, wobei sich derzeit noch etwa 60-80 Baha’i aufgrund ihrer Glaubenszugehörigkeit de facto in Haft befinden, während bei anderen durch wirtschaftlich ruinöse Kautionszahlungen die Haft ausgesetzt wurde.
  • Die Baha‘i in Iran sehen sich einer stetigen Flut von Artikeln und Videos in den Medien ausgesetzt, in denen die Baha’i durch falsche Anklagen, hetzerische Wortwahl und geschmacklose Bildsprache dämonisiert und verleumdet werden. Derzeit richten sich monatlich im Durchschnitt über 500 öffentliche Hetzangriffe in den verschiedenen staatlichen, halbstaatlichen oder klerikalen Medien gegen die Baha‘i.
  • Ein Hochschulstudium wird den Baha’i im Iran verwehrt. Während Bildung in den Baha’i-Lehren eine zentrale Rolle einnimmt, ist der Baha’i-Jugend im Iran der Zugang zu höherer Bildung nicht gestattet.
  • Nach umfangreichen Berufsverboten – vom öffentlichen Sektor bis zu Dienstleistungsberufen – verblieb die gewerbliche Selbständigkeit als eine der wenigen Möglichkeiten, einen Lebensunterhalt zu verdienen. Seit 2005 - mit der verstärkten Gegnerschaft durch die Regierung - sind die Baha’i-Gläubigen fortwährendem wirtschaftlichem Druck ausgeliefert, sei es durch Entzug von Verkaufslizenzen, Verweigerung der Anmietung von Gewerbeflächen, Zwangsschließung von Geschäften unter Androhung von Belästigung und Sachbeschädigung.