Gesellschaftlicher Zusammenhalt: Die Frage nach der gemeinsamen Vision
FRANKFURT AM MAIN - Die Gesprächsreihe zur Fähigkeit von Religion und Kultur, gemeinsam gesellschaftlichen Zusammenhalt zu gestalten (siehe auch Beitrag vom 18. April: ‚Die Frage nach dem gesellschaftlichen Zusammenhalt‘) ist in Frankfurt am Main fortgesetzt worden.
Eine der zentralen Fragen aus dem ersten Gesprächstermin war u.a., wie es zu schaffen wäre, ins gemeinsame Handeln zu kommen und was es dafür braucht.
Einig waren sich die Teilnehmer darüber, dass es vor allem Zeit braucht. Sowohl das gemeinsame Gespräch, als auch das gemeinsame Handeln. Dementsprechend war der Einstieg für dieses zweite Treffen festgesteckt. Es sollte untersucht werden, woran gemeinsam gearbeitet werden soll und wofür sich die besagte Zeit nehmen. Voraussetzung allerdings für das gemeinsame Handeln ist zunächst eine gemeinsame Vorstellung davon, woran gearbeitet wird. Das wiederum schien zunächst klar: am gesellschaftlichen Zusammenhalt sollte gearbeitet werden. Doch damit kam auch die Frage auf, was verstehen wir überhaupt unter gesellschaftlichem Zusammenhalt; ist es eher ein Zustand oder Prozess?
So wurde denn zusammengetragen: Wahrnehmung und Wertschätzung aller Mitglieder der Gesellschaft, Identität, Dynamik von gemeinsamem Handeln und stetem Wandel, Gerechtigkeit, das Zulassen unterschiedlicher Perspektiven, die sich gegenseitig ergänzen – all das, wahrscheinlich noch viel mehr, sind Faktoren des sozialen Gemeinschaftsgefühls.
Der Beitrag von Religion und Kultur besteht in der Auseinandersetzung mit genau diesen und ähnlichen Fragen; Sinnfragen, die in einem Spektrum von tief spirituell bis hoch säkular behandelt werden – in beiden Bereichen. Indem sie Visionen und damit Möglichkeiten aufzeigt, die die unmittelbare Vorstellungskraft des Menschen übersteigen können, ermutigt Religion dazu, über die eigenen Grenzen hinaus zu wachsen. Die Liebe zu diesen Visionen kann eine tiefe Motivation im Menschen wecken und entwickeln. Eine weitere besondere Kraft zum Gestalten liegt im Schaffen von Räumen, die der Begegnung zwischen Menschen dienen, „Wege zu finden, wie das Engagement von Menschen bekannt werden kann, gesehen werden kann…“, betont Andreas Fiol von der Buddhistischen Shinnyo-en-Gemeinde Deutschland. Und Volker Nüske von der Robert-Bosch-Stiftung ergänzt: „Eine vertrauensvolle Umgebung, in der die Personen sich in ihrem Engagement und in ihrem Einsatz erproben können. Und gleichzeitig auch wissen, dass sie nicht verurteilt werden, wenn mal etwas schiefgeht, dass sie gleichzeitig auch Unterstützung haben ... Räume, die erstmal frei sind von anderen Interessen.“ Die Handlungsfähigkeit scheint zudem in überschaubaren Umfeldern, wie z.B. Nachbarschaften oder Quartieren, besonders hoch zu sein. Denn hier sind Menschen von etwaigen Missständen unmittelbar betroffen und können zudem auf selbstwirksame Weise aktiv werden, direkt auf Veränderung hinwirken und profitieren somit wiederum von der Verbesserung.
Fähigkeiten und Fertigkeiten, die in Ausübung oder Rezeption von Kunst und Kultur ausgebildet oder in besonderem Maße weiterentwickelt werden, unterstützen dabei, diese besagte gemeinsame Vision zu entwickeln und ihr Ausdruck zu verleihen. So kann das Einfühlungsvermögen, welches ganz besonders im Schauspiel gebraucht und entwickelt wird, auch das alltägliche Miteinander unterstützen. Beziehungsweise hilft die Erforschung der besonderen Erfordernisse und Bedürfnisse eines Umfeldes dabei, spezifisch angepasste Prototypen in Design und Architektur zu entwickeln, die wiederum die Lebensbedingungen der Menschen dieses Umfeldes verbessern. Während Religion wiederum Einsicht gibt in menschliche Fähigkeiten, wie z.B. das Konzept des selbstlosen Gebens in den verschiedenen Glaubensrichtungen, die Selbstverständlichkeit, sich für das Wohl anderer einzusetzen. Beide – Religion und Kultur – schaffen und vertiefen ein besonderes Verständnis dafür, wie gesellschaftlicher Zusammenhalt in einer pluralen Gesellschaft gemeinsam gestaltet werden kann. Sie leisten wichtige Beiträge, wie sich die Allgemeinheit nicht nur einer gemeinsamen Vision annähern, sondern sie auch realisieren kann.
„Auf diese Weise nehmen die Gespräche dieser Reihe einen modellhaften Charakter als mögliches Beispiel dafür an, wie auch in anderen gesellschaftlichen Kontexten zu einer gemeinsamen Vorstellung als Grundlage für gemeinsames Handeln gefunden werden könnte; durch ein fortlaufendes Gespräch, das allen Akteuren die Möglichkeit einräumt, gehört zu werden und mitanhören zu können, Visionen und Wege zu beschreiben und diese dann gemeinsam zu gehen“, so Saba Detweiler von der Bahá’í-Gemeinde Deutschland.
In diesem Sinne wird auch die Gesprächsreihe weitergeführt: Im September wird es den dritten und letzten Teil der Reihe in Münster geben, bevor die Ergebnisse im November in Berlin der Öffentlichkeit vorgestellt werden. Das Gespräch geht weiter.
Einen kleinen Eindruck über dieses zweite Gespräch dieser Reihe in Frankfurt vermittelt auch unser Podcast.