Nächste Verhaftungswelle im Iran trifft auch prominente Bahá’í unter absurden öffentlichen Vorwürfen des Geheimdienstministeriums
Berlin, 2. August 2022 -- Das iranische Geheimdienstministerium veröffentlichte am 31. Juli eine erschreckende Erklärung voller Hasspropaganda gegen die verfolgte religiöse Minderheit der Bahá'í. Damit versuchte es, die Razzien in den Wohnungen und Geschäften von 52 Bahá'í im Iran sowie die Verhaftung oder Inhaftierung von 13 Personen zu rechtfertigen.
Das Geheimdienstministerium behauptet in dieser offiziellen Erklärung, die nach wochenlangem Druck auf die Bahá'í erfolgte, dass sich die Verhaftungen gegen Mitglieder der „Bahá'í-Spionagepartei“ richteten und dass die Verhafteten „die Lehren des erfundenen Bahá'í-Kolonialismus verbreiteten und das Bildungswesen infiltrierten“, darunter auch Kindergärten. Die Erwähnung von Kindergärten ist offensichtlich ein Vorwand für die Verhaftung einer Reihe von Bahá'í, die als Vorschullehrer tätig sind.
Die Bahá'í-Gemeinde in Deutschland weist diese absurden und grotesken Behauptungen als frei erfunden zurück. Das Vorgehen der iranischen Regierung stellt gleichermaßen eine schwerwiegende Form der Unterdrückung und ein schamloses Beispiel für die schlimmste Form der Hassrede dar.
„Die iranische Regierung behauptet seit über 40 Jahren, die Bahá'í seien Spione ausländischer Staaten, konnte aber in all der Zeit nicht den geringsten glaubwürdigen Beweis vorlegen. Inzwischen werden sogar Kindergärtnerinnen und Erzieherinnen als Bedrohung für die nationale Sicherheit angegriffen“, sagt Jascha Noltenius, Beauftragter für Menschenrechtsfragen der Bahá'í-Gemeinde in Deutschland.
Bei den Razzien wurden dreizehn Personen verhaftet. Auffällig ist dabei, dass darunter auch Mahvash Sabet, Fariba Kamalabadi und Afif Naemi sind, von denen Letzterer im Evin-Gefängnis in Einzelhaft gehalten wird. Der Aufenthaltsort der beiden anderen ist unbekannt. Sie gehörten bis 2008 zu der ehemaligen siebenköpfigen Leitungsgruppe der Baha'i im Iran, die allein aufgrund ihres religiösen Glaubens im Jahr 2007 und 2008 ins Gefängnis kamen. Nach zehnjähriger unschuldiger Haftstrafe kamen sie im Jahr 2017 bzw. 2018 nach weltweiten Protesten frei.
„Wir sind empört, dass eine beträchtliche Anzahl von Baha'i, darunter Mahvash Sabet, Fariba Kamalabadi und Afif Naemi, aufgrund haltloser Anschuldigungen inhaftiert wurden“, so Noltenius. „Und es ist noch empörender, dass das Geheimdienstministerium versucht, diese Personen als Agenten ausländischer Mächte darzustellen, die versuchen würden, die Sicherheit des Irans zu untergraben. Die Erklärung des Ministeriums ist völlig inkohärent und widersprüchlich, und die Anschuldigungen sind eindeutig absurd und unbegründet. Anstatt sich mit den Herausforderungen ihres Landes zu befassen, richten die iranischen Behörden ihre Angriffe auf Unschuldige und versuchen, religiösen Hass zu schüren“.
„Die Inhaftierung dieser Bahá'í demonstriert die sinnlose Grausamkeit der iranischen Regierung bei ihrer systematischen Kampagne zur Verfolgung der gesamten Religionsgemeinschaft“, sagt Noltenius. „Mahvash Sabet, Fariba Kamalabadi und Afif Naemi sind Symbole der Resilienz im Iran und sind in der ganzen Welt für ihren Mut als Gewissensgefangene bekannt. Unzählige Menschen weltweit haben sich damals für ihre Freilassung eingesetzt. Niemand wird den Ausreden der iranischen Regierung für den Angriff auf eine hilflose, friedliche Gemeinschaft glauben. Aber diese unerbittliche und eskalierende psychologische Kriegsführung ebnet den Weg für eine zunehmende Verfolgung der Bahá'í in den kommenden Wochen und Monaten.“
Die Razzien und Festnahmen erfolgten wenige Tage, nachdem 20 Bahá'í in Shiraz, Teheran, Yazd und Bojnourd verhaftet, inhaftiert oder Hausdurchsuchungen und Geschäftsschließungen unterzogen wurden, und weniger als einen Monat, nachdem 44 weitere Bahá'í in ganz Iran ebenfalls festgenommen, angeklagt oder inhaftiert wurden. 26 der 44 Personen, die sich in Shiraz aufhielten, wurden zu insgesamt 85 Jahren Gefängnis verurteilt. Damit sind in den letzten Wochen mehr als einhundert Bahá'í im Iran ins Visier der Behörden genommen worden.
Hintergrund:
Sabet, Kamalabadi und Naemi waren Mitglieder einer Gruppe, die als „Yaran“ oder „Freunde“ des Iran bekannt ist und bis 2008 als informelle Führung der iranischen Bahá'í-Gemeinde fungierte. Alle sieben Mitglieder wurden in den Jahren 2007 und 2008 verhaftet und für ein Jahrzehnt ins Gefängnis gesteckt. Die Yaran kümmerten sich um die grundlegenden seelsorgerischen Bedürfnisse der Gemeinschaft -- der größten nicht-muslimischen religiösen Minderheit im Iran -- und taten dies mit Kenntnis und Akzeptanz der iranischen Behörden zu jener Zeit. Infolge der damaligen Verhaftungen wurde das Gremium der Yaran jedoch aufgelöst und wurde nie wieder neuformiert oder neu gegründet. Die implizite Aussage des Geheimdienstministeriums, sie seien Teil eines sogenannten „Kerns“ der „Spionagepartei“ der Bahá'í, ist daher in jeder Hinsicht absolut falsch.
Mahvash Sabet, die während ihres zehnjährigen Aufenthalts im Teheraner Evin-Gefängnis Gedichte schrieb, die während ihrer Inhaftierung verbreitet und später unter dem Titel „Prison Poems“ auf Englisch veröffentlicht wurden, wurde 2017 als „English PEN International Writer of Courage“ ausgezeichnet.
„Wir sind sehr besorgt über Berichte, dass Mahvash Sabet, die Preisträgerin des PEN Pinter Prize for an International Writer of Courage 2017, erneut im Iran inhaftiert worden ist“, sagte Daniel Gorman, Direktor des English PEN. „Wir werden die Situation weiterhin genau beobachten.“
Fariba Kamalabadi, eine Entwicklungspsychologin, wurde 2008 verhaftet und verbrachte ebenfalls ein Jahrzehnt hinter Gittern. Im Jahr 2017 wurde sie von der United States Commission on Religious Freedom als religiöse Gefangene aus Gewissensgründen anerkannt und verteidigt.
Afif Naemi, ein Industrieller, der ebenfalls 2008 verhaftet wurde, verbrachte einen Großteil seiner zehnjährigen Haftstrafe in schlechtem Gesundheitszustand, doch wurde ihm die notwendige medizinische Behandlung verweigert. Er wurde 2018 zusammen mit den anderen Mitgliedern der ehemaligen Führungsgruppe der Bahá'í aus der Haft entlassen.